Sirolo

Es ist passiert. Ich habe mich verliebt. In eine Italienerin. Ich traf sie zufällig.

Aber hübsch der Reihe nach.
Nach Venedig wollte ich in Richtung Manfredonia.
Das erschien mir wie das gelobte Land: gute Kommentare in den einschlägigen Foren, als ich in Venedig noch gefroren habe immer Temperaturen um 25°C.
Mit über 700 km ist mir der ganze Weg aber zu weit für einen Tag, daher suche ich so etwa in der Mitte eine Zwischenstation.
Um diese Zeit sind aber viele Campingplätze noch gar nicht geöffnet. Ich finde aber einen Platz, der gut liegt, Camping Reno in Sirolo.
Der Ort sagt mir nichts. Die Bewertungen im Internet sind für den Platz eher nicht so toll, aber egal, eine Nacht und dann weiter nach Manfredonia.

Ich irre mich mit beidem, mit Sirolo und Manfredonia.

Von Venedig meide ich wieder die Mautstraße, bin aber enttäuscht.
Das Meer ist gerade soweit weg, dass man es hinter Häusern und Bäumen kaum jemals sieht.
Was ich sehe ist eher hässlich, lieblose Wohngebiete, runter gekommene Industrieanlagen. Ganz anders als auf der gegenüberliegenden Seite der Adria, in Kroatien.
Entsprechend noch weniger erwarte ich von Sirolo.

Als ich auf den Campeggio fahre bin ich positiv überrascht. Ein kleiner, sehr schön angelegter Platz. Die Stellplätze durch Terrassen, Mäuerchen und Hecken getrennt, viele alte Olivenbäume.
Die Sanitäranlagen sind zwar nicht super modern, aber charmant und sauber.
Die Besitzerin sagt, ein bisschen entschuldigend ob der Leere des Platzes, dass die Italiener lieber große Plätze mit Pool, Restaurant und Animation hätten.
Ich bin ganz zufrieden. Eine Wohltat nach Venedig.

Ich baue zum ersten Mal meine noch kurz vor der Reise montierte Markise auf. Zunächst sieht es eher aus wie in einem Slapstickfilm. Erst passt es gar nicht, dann bricht die eine Seite zusammen, wenn ich die andere wieder aufrichten will. Aber am Ende steht sie und ich habe das Gefühl, einen zusätzlichen Raum gewonnen zu haben.
Nachdem ich mich eingerichtet habe mache ich noch einen kleinen Gang ans Meer und in den Ort, nur ein paar Gehminuten vom Campingplatz.
Danach weiß ich, dass ich mehr als eine Nacht bleiben werde, tatsächlich werden es vier.

Abends gehe ich essen. Obwohl es ein besseres Lokal ist läuft Fußball auf einem großen Fernseher, Champions League, Juventus Turin gegen Real Madrid.
Als ein Tor fällt fragt mich die Frau am Nebentisch, soviel verstehe ich, auf italienisch wer es geschossen hat (es war – natürlich – Ronaldo).
Auf mein „Scusi, non parlo Italiano“, fragt sie mich, in welcher Sprache ich den sonst so parliere?
Es stellt sich raus, dass sie zwar eine geborene Italienerin ist, aber seit langem mit einem Schweizer, ihrem Mann, der auch mit am Tisch sitzt, in der Schweiz lebt.
Sie spricht also hervorragend Deutsch.
Sie vergisst nicht zu erwähnen, dass ihr Mann Arzt ist („Ein Spezialist!“) und sie sich gerade eine schöne Wohnung in Sirolo gekauft haben.
Sie gibt mir aber auch viele Hinweise, was ich mir in der Gegend ansehen sollte.
Es ist mir ein bisschen peinlich, dass sie, als ihr Essen kommt,  nicht in Ruhe mir ihrem Mann, der etwas zurückhaltender ist, isst.
Sie lässt sich aber nicht bremsen und unterstützt die Empfehlungen mit Bildern von ihrem Handy.
Da sie gerade so in Schwung ist, zeigt sie mir auch noch ihre Tochter am Strand, das Haus in der Schweiz am Bodensee, …
Ich gehe mit einer Mischung aus peinlicher Berührtheit, Amüsiertheit und Dankbarkeit für die Tipps.

Die einheimischen nennen Sirolo die „Perle der Adria“. Ich habe zwar bei weitem nicht die ganze italienische Adria gesehen, aber ich will nicht ausschließen, dass sie Recht haben!Sirolo liegt wunderschön auf einem Hügel an einer Steilküste über der türkis-blauen Adria.Die Altstadt hat enge Gassen, in denen sich urige Häuser aneinander reihen.Das Zentrum bildet ein Platz, der sich zum Meer hin öffnet. Sirolo wird einer der wenigen Italien-Stationen sein, die wohltuend zwischen den Extremen „überlaufen“ und „ausgestorben“ liegt.

Monte Conero

Eine der Empfehlungen, die ich bekommen habe, ist eine Wanderung zum Monte Conero. Er liegt in Sichtweite von Sirolo, ist über 500m hoch und fällt steil zum Meer hin ab.Ich wandere von Sirolo Richtung „Passo del Lupo“. Auf dem Weg hat man eine wunderbare Aussicht auf Sirolo. Vom Passo blickt man hinab auf den Strand „Due Sorelle“, benant nach zwei Felsen im Meer, die an betende Schwestern erinnern sollen.Von dort geht es weiter zu einem ehemaligen Kloster mitten auf dem Berg, eine Kirche ist erhalten, der Rest ist heute ein Hotel.Nach einem caffè mit dolce wandere ich zurück nach Sirolo.

Michele Ascolese

Am meinem letzten Abend in Sirolo besuche ich ein Konzert.
Es findet im „Teatro Cortesi“ statt. Ein bezauberndes kleines Theater mit roten Plüschsitzen und Balkonen.
Es spielt Michele Ascolese, der offensichtlich als Gitarrist des lange verstorbenen, in Italien wohl recht bekannten und beliebten Liedermachers Fabrizio de Andrè populär geworden ist.
Ja, OK, kannte ich auch nicht.

Vor dem Konzert spricht mich mein Nachbar auf Italienisch an, offensichtlich sagt er etwas zum Teatro.
Ich kann leider wieder nur antworten, dass ich kein Italienisch spreche. Es wäre schon schön, jeweils die lokale Sprache sprechen zu können.

Das Programm besteht aus (soweit ich das beurteilen kann) eher traditionellen, italienischen Melodien. Trotz des Akkordeons ist das Ganze aber nie folkloristisch oder „volkstümlich“.
Ein Stück, bei dem der Bandleader eine Art elektrische Bouzouki spielt, gerät zum Stimmungshöhepunkt des Abends.
Der Klang des Instruments ist fast orientalisch, die Spielweise geht ins rockige.

Dieser Ausklang passt zu Sirolo.
Ich erinnere mich an meinen Plan (bevor die Idee der Busfahrt kam) drei Monate an einem Ort zu verbringen.
Versuchen, in der Fremde ein bisschen heimisch zu werden.
Hier hätte so ein Ort sein können.

Beim Aufbruch halten sich der Wunsch weiter zu fahren und Neues zu sehen und der Wunsch zu bleiben zum ersten Mal fast die Waage.

Santuario della Santa Casa di Loreto

Als ich fahre mache ich noch einen kurzen Abstecher nach Loreto.
Hier steht die „Basilika vom heiligen Haus“, auch eine Empfehlung meiner italienischen Schweizerin.

Der Legende nach trugen Engel das Haus, in dem Maria aufgewachsen war, von Nazareth nach Loreto, so eine Art himmlisches Beamen.
Das passierte, nachdem die Kreuzfahrer das heilige Land wieder verloren hatten.
Das Haus kann tatsächlich, als besonderes Heiligtum innerhalb der bombastischen Kirche, besichtigt werden.
Die vielen Nebenschiffe der Kirche würden jedes alleine ausreichen, eine respektable Kirche auszustatten!

Er war auch hier.

Überhaupt ist Johannes Paul II in Italien offensichtlich sehr beliebt, er begegnet mir immer wieder.

Benedikt -„wir sind Papst“- XVI treffe ich dagegen gar nicht.
Auch der aktuelle Papst ist weniger präsent.

Loreto ist außerdem eine charmante italienische Kleinstadt.
Am zentralen Platz ist sie auf der einen Seite großartiger Sakralbau, auf der anderen Seite ein belebtes Städtchen.

Veröffentlicht in Busfahrt.

2 Kommentare

  1. Pingback: Italien – Christian Ortlieb

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